#4 Das Leben ohne die tamilische Schule - Außenseiter oder Glückspilz?

Deni
20. Mai 2020, 18:12 MESZ aktualisiert am 20. Mai 2020, 19:05 MESZ

Verwirrte Blicke, ein Schmunzeln oder ein unterdrücktes Gefühl von Enttäuschung begleiteten mich ständig in meiner Kindheit, wenn ich mit Situationen konfrontiert wurde, in denen ich keinen Ausweg sah, als meine Muttersprache Tamil zu sprechen. Zu diesen gehörten beispielsweise Gespräche zu Verwandten aus dem Ausland, das Treffen von anderen Menschen außerhalb meiner Familie oder auch Besuche von tamilischen Festen.

Bis heute werde ich nicht vergessen wie eine kleine Hitzewelle durch meinen ganzen Körper stieg, weil ich mich regelrecht in den Kopf von meinem Gegenüber hineinversetzen konnte und die gleich eintretende Reaktion bereits kannte. Eine Mischung aus Trauer, Enttäuschung ja sogar Gelächter habe ich erfahren. Damals war es Unsicherheit, die ein Kind besonders davor hemmt, etwas zu erlernen, womit es in der Vergangenheit bereits negative Erfahrungen gemacht hat. Wie oft wurde ich danach gefragt, ob und warum ich nicht zur Tamilschule gegangen bin.

Gerade von der zugewanderten Generation aus Sri Lanka musste man sich als Kind und heute ständig rechtfertigen, warum man denn nicht die eigene Muttersprache fließend beherrscht.

Meine Eltern, wie auch ihr engerer tamilischer Freundeskreis, beherrschen die deutsche Sprache flüssig. Ich habe nie richtig die tamilische Schule besucht, um auch das Lesen in Wort und Schrift zu lernen. Diese hatten nie in Erwägung gezogen uns Kinder sonntags, neben dem Schulalltag und unseren Interessen, zur tamilischen Schule zu schicken. Ihres Erachtens nach war es ausreichend, wenn man sich gut unterhalten konnte und sich gegenseitig verstand. Darüber hinaus muss man sagen, dass viele Eltern Angst hatten, dass wir in der Schule nicht den Anschluss zur deutschen Sprache finden oder einen Nachteil erleiden könnten. Heute wird von den Lehrkräften auf deutschen Schulen sogar ausdrücklich erwünscht, dass die Kinder schon frühzeitig zweisprachig aufwachsen, weil dies nachweislich nur Vorteile mit sich bringt.

Das Grundkonzept der tamilischen Schule, welche sich neben dem Erwerb der Sprache, in weitere Bereiche wie Politik oder Religion fokussiert, empfanden neben meinen Eltern auch viele andere als schlichtweg zu extrem neben den Aufgaben und Interessen, die jedes Kind für sich entwickelt hatte. Sie hatten sich eine Tamilschule gewünscht, die lediglich auf den Erwerb der Sprache abzielt. Stattdessen wurden von den Lehrern Wert auf Uniform, saubere Fingernägel und viele weitere Sachen gelegt. Ich werde nie vergessen wie meine Eltern all dem eine Chance gaben und mich mit 14 Jahren zur Schule schickten. Angekommen in einem nahezu perfekt gebügelten Hemd stand ich da. Doch bevor der Unterricht losging wurden unsere Fingernägel kontrolliert und auch unsere äußere Pflege. Das war mein erster und letzter Tag! Ich bin heute noch der Meinung, dass solche Aktivitäten nichts mit dem Erfolg des Spracherwerbs zu tun haben und abgeschafft werden sollten. Dies war unter anderem ein Grund, warum viele Eltern die Tamilschule für das Erlernen der Sprache in Erwägung gezogen haben. Stattdessen haben sie sich privat um Sprachvermittlung bemüht.

Trotz allem hätte ich mir gewünscht, dass man mir diesen alternativen Weg damals angeboten hätte, ohne all den Nebenpflichten der Tamilschule gerecht werden zu müssen – unabhängig davon ob ich zur Schule gegangen wäre oder nicht.

Ich denke jeder, der die Tamilschule nicht besucht hat trifft auf Momente im Leben, in denen man traurig ist, dass man die Muttersprache nicht in dem Ausmaß erlernt hat, wie viele es von euch gewohnt sind

Trotz allem habe ich mich nie weniger tamilisch gefühlt, Nachteile gehabt oder keine tamilischen Freunde gefunden. Ich liebe die tamilische Kultur, unser fantastisches Essen, die Musik und unsere Filme genauso wie jemand, der die tamilische Schule erfolgreich besucht hat. Die Sprache definiert noch lange keinen Landsmann. Eine Sprache lernt man am besten, wenn man sie lebt und ich habe diese in meiner Familie gelebt und dadurch erlernt. Ich lache genauso über unsere Witze, bin in tamilischen Vereinen aktiv und lebe unsere einzigartige Kultur. Im Vergleich zu den meisten von euch habe ich all diesen Anschluss erst als Erwachsener finden können und auch nur dadurch begründet, weil ich ihn bewusst gesucht habe. Der Anschluss als ein tamilisches Kind in Deutschland zu anderen Kindern ist abgesehen von der Tamilschule meines Erachtens nicht einfach.

Nichtsdestotrotz kann ich jedem angehenden Elternteil mit an die Hand geben, die Kinder schon früh zweisprachig zu erziehen, unabhängig ob in einer tamilischen Schule oder zu Hause. Gerade Kleinkinder erwerben in den ersten Lebensjahren Sprache ohne bewusste Anstrengung.

Es wäre schade, wenn so eine wunderschöne und einzigartige Sprache, die ihre festen Wurzeln in den letzten Jahren aus diversen Gründen verloren hat, uns nicht erhalten bleiben würde.

Ich werde meine Kinder später definitiv alle Wege und Möglichkeiten offenlegen, damit sie selber entscheiden können ob sie zur Tamilschule gehen möchten oder nicht. Aber definitiv werde ich im Haushalt und in der Familie unsere Muttersprache ausleben.

Von all dem abweichend bin ich heute noch unfassbar stolz darauf, dass die zugewanderte Generation neben all den Problemen und Hürden nach der Ankunft in Deutschland, es schnell geschafft hat, deutschlandweit ein Netzwerk von Tamilschulen zu etablieren. Wir sollten dies wertschätzen und auch nutzen. Darüber hinaus muss man klarstellen, dass all die Fehler und Kritikpunkte der vergangenen Jahre in den letzten Jahren oft verbessert und nachjustiert wurden. Vielmehr darf man nicht vergessen, dass dort Frauen und Männer unterrichten, die neben ihrem Vollzeitjob unbezahlt als Lehrer fungieren. Missstände und starker Verbesserungsbedarf sind da unvermeidlich!

Jedes Kind sollte schon früh das Recht und den Anspruch haben einen Zugang zu seiner Muttersprache zu haben und besser für die Entwicklung des Kindes, wenn es gleich zwei erlernen kann. Unsere Sprache ist in Wort und Schrift nun mal nicht wie die meisten modernen europäischen Sprachen, die wir aus dem Alltag gewohnt sind. Umso mehr hoffe ich, dass wir als Upcoming-Generation dem Trend der sinkenden Anzahl an Tamilschulen entgegenwirken können.

Es liegt in unserer Hand als nächste Generation und zukünftige Eltern, die Tamilschulen zu verbessern, modernisieren und neu zu strukturieren.

Disclaimer:
Die verfassten Beiträge in dieser Blogreihe werden, beruhend auf persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, verfasst. Die persönlichen Umstände und das persönliche Umfeld spielen dementsprechend eine große Rolle. Somit präsentieren die Artikel nur persönliche Ansichten und möglicherweise auch Lösungsansätze, die nicht auf alle übertragbar sind. Keinesfalls wollen wir implizieren, dass dies die einzig korrekte Sichtweise auf das entsprechende Thema ist oder jemanden damit angreifen. Wir sind dankbar für jedes Feedback und für jede Kritik und respektieren eure geäußerten Meinungen. Ihr könnt gerne eigene Beiträge verfassen und uns zukommen lassen, um auch eure Sichtweisen und Lösungsmöglichkeiten zu präsentieren.

Euer ITSA-Team

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